Anlässlich der Anti-AFD Demonstration am 29. April 2023 verfasste die Gruppe Dissens eine Kritik, die hier nachzulesen ist.
Als mobilisierende Kraft aus Jena sprach Dissens auch uns direkt an. Im Folgenden veröffentlichen wir unsere Antwort an Dissens als Debattenbeitrag.
Hallo Dissens, lang ists her aber wir wollten uns gerne eurer Kritik zur Demo am 29.04. in Erfurt annehmen, da wir sowohl als mobilisierende Gruppe URL als auch als individuelle Unterstützer*innen der Demonstration persönlich angesprochen wurden. Zunächst zu einem Kritikpunkt dem wir vollends zustimmen – wir hätten uns auch mehr Radikalität im Inhalt der Demo gewünscht. Auch wir empfanden den Aufruf als inhaltsleer und auch für Redebeiträge auf der Demo wäre deutlich mehr drin gewesen. Euer Text leistet auch zur Diskussion über eine inhaltliche Neuausrichtung der Linken einen wichtigen Anstoß.
Unser Anspruch ist es nicht innerlinke Szenepolitik für bereits Radikalisierte zu machen, sondern eine breitere Gesellschaft abzuholen, zu radikalisieren und zu politisieren. Dazu gehört auch die Wählerschaft bürgerlicher Parteien, die sich auf exakt solchen Demonstrationen wiederfinden. Für viele Antifaschist*innen, welche sich neu der Szene anschließen, sind diese Demonstrationen ein erster Berührungspunkt, vielleicht auch grade, weil dort hin- und wieder etablierte Akteure mitlaufen. Daher sehen wir in ihnen ein Potenzial und hätten uns umso mehr gefreut, eure Analyse und Kritik in der Demonstration zu hören. Ein weiterer Kritikpunkt den wir annehmen ist der, dass die Parteien, die sich auf der Demo als ach so antifaschistisch darstellen, für unser aktuelles System in all seinen nationalistischen und rassistischen Auswüchsen verantwortlich sind. Diese Scheinheiligkeit gilt es anzuprangern, was im Zusammenhang der Demo nicht passiert ist.
In der Ausdrucksweise und dem Zeitpunkt sehen wir eine destruktive und unsolidarische Kritikform an Antifaschist*innen und linksradikaler Strukturen, wenngleich ihr auch weitere Akteure adressiert. Der unverhohlene Spott erscheint elitär, überheblich und selbstgerecht. Durch eine Diffamierung der Unterstützer*innen wird versucht eine Grenze zu ziehen zwischen den guten Antifaschist*innen (euch) und den schlechten Antifaschist*innen (Unterstützer*innen der Demo). Ihr unterstellt den schlechten Antifaschist*innen einen aktiven Kampf gegen Inhalt und Kritik zu führen, dabei wäre berechtigte Kritik sowie die inhaltlichen Analyse auf diesen Demonstrationen ausdrücklich erwünscht. Durch Zeitpunkt und Form der Kritikäußerung könnt ihr beeinflussen wie leicht die Kritik angenommen wird. Mit Diffamierungen sowie das Timing am Vorabend der Demo erschwert ihr eine Kritikannahme um euch anschließend über Kritiklosigkeit zu beschweren. Falls ihr das Ziel verfolgt, dass eure Kritik auch angenommen werden soll, ist es widersprüchlich die Adressat*innen wegzustoßen. Falls ihr Antifaschisst*innen in einer gemeinsamen kommunistischen Perspektive einen wollt, ist es wiedersprüchlich solch fette Trennlinien zwischen sich und den anderen zu ziehen. Falls ihr die bestehenden Machtverhältnisse aus einer antifaschistischen Perspektiver kritisieren wollt, ist es wiedersprüchlich andere Anitfaschist*innen zu erniedrigen.
Letztlich wollen wir aber auch eure Analyse etwas entgegensetzten! Eure Aussage, dass sich mit einer AfD-Regierung nichts ändern würde, sehen wir als veraltete Kapitalismuskritik und Missachtung eigener Privilegien. Eine AfD-Regierung bedeutet für Millionen marginalisierte Menschen in Deutschland eine existenzielle Bedrohung ihrer Lebensverhältnisse. Die Zahl der Angriffe auf Geflüchtete oder auf ihre Unterkünfte hängt auch mit dem politischen Diskurs zusammen. Besonders sichtbar wird in anderen EU-Ländern, wie es rechtspopulistische Parteien gelingt das Sterben an den EU-Außengrenze weiter zu steigern. Sich da bei Wahlen für das “kleinere Übel” zu entscheiden, und überhaupt entscheiden zu dürfen, ist eine Möglichkeit, welche auch radikale Linke nutzen sollten. Auch hier kennt eure Argumentation wieder nur gute und schlechte Antifaschist*innen ohne ausreichend zu differenzieren. Wählen zu gehen ist nicht gleichzusetzen mit einer “offene Parteinahme für ein Gesellschaftsmodell der bürgerlichen Herrschaft” sondern kann auch als Nutzung von Privilegien reflektiert werden. Den Bruch mit dem Bestehenden erreichen wir aktuell durch Wahlboykott wohl kaum. Ein aktives Wegschauen von der AfD hat jedoch Folgen! Wenn diese Folgen auch nicht als erstes die weiße und akademische Linke treffen, so treffen sie doch marginalisierte Menschen in Thüringen oder an der EU-Außengrenze in entscheidendem Maße.
Wir hoffen, dass es auch zukünftig einen Austausch über mögliche Ausrichtungen linksradikaler Arbeit geben wird, der noch solidarischer und konstruktiver geführt werden kann. Wir sind dankbar, dass ihr zu dieser Debatte einen Anstoß gegeben habt, und freuen uns unsererseits über weitere Kritik und Antworttexte.
Liebe Grüße, URL Jena