Von den Medical Students for Choice Jena und der URL
Seit 152 Jahren stehen Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland im Strafgesetzbuch. Der Kriminalisierung folgt eine Stigmatisierung-und das fängt früh an: Lebensschützer:innen-Verbände wie KALEB oder Alfa propagandieren ihre fundamentalistischen Theorien schon im Schulunterricht.
Ein Schwangerschaftsabbruch nach Beratungsregel in den ersten 12 Wochen kostet zwischen 360 und 700€ je nach Praxis und Methode auch bis zu 1000€. Ein Antrag auf Kostenübernahme ist bürokratisch, hochschwellig und nicht für alle Menschen gleichermaßen möglich.
Strukturelle Zugangsbarrieren betreffen insbesondere von Armut betroffene Menschen- welche viel zu häufig marginalisierten Gruppen angehören-, Arbeitnehmer*innen im Schichtdienst, Menschen, die nicht gut Deutsch sprechen, rund um die Uhr Kinder betreuen müssen oder die aufgrund von Diskriminierungserfahrungen zB aufgrund verbreiteter Queerfeindlichkeit den Gang zu Ärzt:innen meiden. Diese Menschen werden all zu oft im Diskurs vergessen.
Die Versorgungslage, vor allem im ländlichen Raum, ist prekär! Seit Jahren nimmt die Zahl der Ärzt*innen, die Abbrüche durchführen, ab – gerade mal knapp über 1.000 Ärzt*innen führen diese überhaupt noch durch. Doch wie sollen Menschen mit eingeschränkter Mobilität die meilenweiten Wege zurücklegen?
Die dreitägige Frist zwischen Beratungsgespräch und der Möglichkeit einen Abbruch vornehmen zu lassen ist völlig willkürlich, medizinisch nicht indiziert, entmündigend und stellt für Betroffene eine psychische Belastung dar.
In einer Beratungsstelle einen Termin zu bekommen kann teilweise so lang dauern, dass die Frist des 1. Trimenons überschritten wird.
Beratungsangebote wie Profemina, die harmlos aussehen und mit „ergebnisoffener“ Beratung werben, versuchen schwangere Personen mit psychologischen Tricks gezielt von einem Schwangerschaftsabbruch abzubringen.
Vor Abtreibungskliniken und Beratungsstellen werden Patient:innen sowie Mitarbeitende immer wieder auf übergriffigste Weise belästigt, bedrängt und angegriffen- eine Praxis, die traumatisierend und verletzend ist.
Eine repräsentative Umfrage zeigt, dass mehr als die Hälfte der Bevölkerung für eine umfassende Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen ist. Für politische Änderungen muss aber weiterhin gekämpft werden!
Hallo, ich bin *****, nutze das Pronomen er/ihn. Gemeinsam mit etwa 30 Menschen sind wir heute morgen den Weg aus Jena her gefahren. Ich organisiere mich politisch bei der Undogmatischen Radikalen Linken. Und ich bin *****, nutze die Pronomen sie/ ihr und bin von den Medical Students for Choice hier. In Jena haben wir uns mit weiteren feministischen Gruppen zusammengeschlossen, weil wir kein Bock hatten den Fundamentalist*innen ungestört die Straße zu überlassen. Wir haben kein Bock mehr auf Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen durch das Gesetz, aber auch besonders üble Stigmatisierung durch Fundies oder Evangelikale. Wir haben kein Bock auf Queerfeindlichkeit, krude Holocaustvergleiche, verstaubte Rollenbilder, kein Bock mehr auf Patriachat.
Auch in Jena & Thüringen gibt es eine ganzen Haufen Fundies, die uns das Leben zur Hölle machen wollen. Während unserer Vorbereitung auf die Demo heute mussten wir mit Schrecken feststellen, dass Funides in Jena heute zum gleichen Zeitpunkt ein großes Familienfest veranstalten. JETZT GERADE, findet im Jenaer Paradiespark erstmals ein christlich-fundamentalistisches, queerfeindliches und antifeministisches Sommerfest statt. Das sogenannte „Paradiesfest“ steht unter Führung der evangelischen Allianz, der größten Plattform der Fundies. Vorsitzender der Evangelischen Allianz Jena ist der FDPler und Pastor Stefan Beyer, welcher in seinen Predigten gegen Homosexuelle wettert. So bezeichnet er „gelebte Homosexualität“ als die „höchste Auflehnung gegen den Schöpfer“, die ‚Anbetung eines falschen Gottes‘ und „widernatürlich“. Regelmäßig fällt er auch durch seine rassistischen Äußerungen oder seine Nähe zum verschwörungsideologischen sowie extrem Rechten Lager auf.
Presserechtliche Verantwortlichkeit für das Paradiesfest hat Thomas Köhler. Für ihn sind Menschen in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften Zerstörer*innen der „göttlichen Ordnung“. Er verurteilt Frauen, die ihr Leben auch außerhalb vermeintlich familiärer Verpflichtungen von z.B. Kinderkriegen und Haushaltsführung begreifen. Einige der beteiligten Gemeinden wollen Männer traditionell autoritär und dominant auftreten sehen. Wer sich nicht der Ernährerrolle fügt und die Führung der Familie an sich reißt wird als untauglich zur Erfüllung des „göttlichen Plans“ gesehen. Wer die sogenannte „Gender-Ideologie“ nicht als etwas schlechtes betrachtet wird zum Sünder.
Auch in Jena gibt es einen Ableger von Kaleb e.V., einem christlich-reaktionären Verein von Abtreibungsgegner*innen, der regelmäßig zum Schweigemarsch durch Annaberg-Buchholz anreist und sich auch inhaltlich beteiligt. Aus Jena kommt auch die Stellvertretende Bundesvorsitzende und einzige Frau im Vorstand, Anke Scherbel. Die Busanreise aus Jena zum „Marsch des Lebens“ in Berlin wurde 2021 durch den Jenaer Ableger von Kaleb organisiert. In Berlin wurde der Infostand von Kaleb durch aus Jena angereiste Personen betreut und mit Material ausgestattet, was die bundesweite Vernetzung und zentrale Rolle des Jenaer Ablegers verdeutlicht.
Die kruden Vergleiche einiger Abtreibungsgegner:innen, etwa mit dem Holocaust, die Ärzt:innen auf eine Stufe mit den Täter:innen des NS-Regimes stellen, relatvieren und banalisieren auf unvorstellbar ekelhafte Weise die Shoa. Erst 2020 nachdem die Ärztin Kristina Hänel geklagt hatte, wurde dieser Antisemitismus, den wir hier nicht reproduzieren wollen, teilweise als rechtswidrig eingestuft.
Abtreibungsgegner:innen greifen für ihre Propaganda dabei nicht nur zu absurden Vergleichen, sondern verbreiten auch offensichtliche Falschinformationen.
Unter den vorgebrachten „Argumenten“ sind zum Beispiel die physischen und psychischen Risiken von Schwangerschaftsabbrüchen- das ist schlichtweg falsch: Das Risiko, bei einer Lebendgeburt zu sterben, ist 14-mal höher als bei einer Abtreibung. Und Frauen, die ein lebendes Kind gebären, haben ein 1,3-mal höheres Risiko, psychische Probleme zu bekommen. Jahrzehntelange Forschung belegt, dass ein Schwangerschaftsabbruch keine psychischen Krankheiten auslöst- das immer wieder zitierte „Post-Abortion-Syndrom“ existiert nicht.
Die Versorgungslage in Jena ist auf den ersten Blick gar nicht so schlecht. In Jena gibt es zwei uns bekannte Praxen, die Abbrüche vornehmen (+ Klinikum). Niemand muss also für einen Schwangerschaftsabbruch extra in eine andere Stadt fahren. Doch wie absurd! Die gesundheitliche Grundversorgung von Jena, einer Stadt mit über 100.000 Einwohner*innen, ist abhängig von der Arbeit gerade einmal zwei Ärzt*innen! Und dabei gibt es 40 gynäkologische Praxen welche alle theoretisch Abbrüche anbieten könnten! Und eh wir von MSFC herausgefunden haben, dass es eine 2. Praxis in Jena gibt, die nicht bei der Bundesärztekammer gelistet ist, hat es ungefähr ein halbes Jahr gedauert. Ein halbes Jahr – Zeit die schwangere Personen nicht haben, wenn sie sich über ihre Möglichkeiten informieren wollen. Und das trotz Wegfall von §219a!
Doch statt der schlechten Versorgungslage durch die Ausbildung von medizinischem Personal entgegenzuwirken ist auch die Lehre an Unis für angehende Ärzt*innen nicht flächendeckend neutral und umfassend. Medizinstudierende wie wir von Medical Students for Choice müssen für eine wertneutrale und professionelle Ausbildung kämpfen! Es gibt Universitäten in Deutschland, an denen dieser Routineeingriff schlichtweg nicht im Unterricht vorkommt. Oft auf Grund der persönlichen Haltung von Lehrbeauftragten und Chefärzten der gynäkologischen Kliniken (Chefärzte muss hier tatsächlich nicht gegendert werden…) Es existiert sogar ein Weigerungsrecht für die Lehrpersonen, uns diesen wichtigen und häufigen Eingriff aus persönlichen gründen nicht beizubringen- das gibt es für kein anderes medizinisches Verfahren. So kann es vorkommen, dass Ärzt*innen trotz jahrelangem Studium noch nie mit Abbrüchen in Kontakt gekommen sind!
In Jena lernen Studierende seit diesem Jahr zum Glück über verschiedene medizinische Methoden des Schwangerschaftsabbruchs in einer Vorlesung. Aber Erklärungen zur rechtlichen Lage und dem ethischen Diskurs nehmen in der Veranstaltung im Gegensatz zu fachlichen Informationen viel größeren Raum ein. Das wäre nicht Notwendig! Eine Legalisierung ist dringend überfälllig!
Wir müssen also weiterhin kämpfen! Lasst uns nirgendwo wegschauen, wenn selbsternannte Lebensschützer*innen sich breit machen um ihre gefährliche und rückwärtsgewandte Ideologien zu verbreiten. Im Erzgebirge, in Jena und überall. Lasst uns zusammenarbeiten, uns vernetzen, gemeinsam kämpfen für eine intersektionale Perspektive. Die Zugangswege zu Schwangerschaftsabbrüchen müssen sich verbessen, und das fängt schon bei der Lehre an! Lasst uns gemeinsam laut sein für sexuelle Selbstbestimmung, für das Recht auf medizinische Basisversorgung, für legale Schwangerschaftsabbrüche für alle Betroffenen!
Fundamentalismus raus aus den Köpfen!
Für die zur Verfügung gestellten Informationen bedanken wir uns insbesondere bei
- Recherche Jena SHK (https://rechercheportaljenashk.noblogs.org/)
- Trans* Solidarische Vernetzung Jena (https://transsolijena.noblogs.org/)
- Pro Choice Leipzig (https://prochoiceleipzig.wordpress.com/)